Beeindruckend & bewegend: Churchill, Belugas und Eisbären

WIAdmin, 29. September 2017

col3Und das ist der „Kinder-Kosmos – Tiere in Eis und Schnee“. 1973 haben mir den meine Eltern geschenkt – und seit dem weiß ich dass es Weißwale gibt. Unzählige Male hab ich den durchgewälzt! Und vielleicht hat er ja eine Rolle gespielt, dass wir die Tiere jetzt in Freiheit erleben durften!

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Als ich ihn fand und mir die beiden Seiten anschaute, war es als hätte ich es gestern gelesen. Und er roch noch wie damals – kennt ihr das, wenn man Gerüche nach Jahren wieder erkennt? Ein praktischer Rat stand da drin – für alle die in den Nordmeeren mal Schiffbruch erleiden:

„Ist es Winter und man sieht Weißwale, dann ist man in der Nähe Grönlands. Wenn die Begegnung im Sommer stattfindet, befindet man sich im Norden, mitten im Polarmeer“. Irgendwie lustig jetzt rauszufinden dass es auch anders sein kann!

Was waren das für eindrucksvolle Tage in Kanada. Dort wo der Churchill River in die Hudson Bay mündet. Wo Belugas einige günstige Faktoren vorfinden – und genau deshalb diese Flussmündung zum großziehen ihrer Jungen ausgewählt haben.

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Als wollten uns die Belugas verabschieden!

Hier finden sie Nahrung und den Schutz des Flusses – der vor allem ihre Jungen vor Angriffen von Orcas bewahrt. Denn hier ist das Wasser für den größten natürlichen Feind der Belugas zu flach.

Ein abgelegener Ort. Und endlos erscheint die Weite der subantarktischen Tundra mit ihrer Sumpflandschaft. Mit dem riesigen, etwas verfallenen Getreidespeicher für Manitoba-Weizen & der Schiffsverladestation mutet Churchill teilweise etwas surreal an.

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Der Getreidespeicher mit zugehörigem Hafen

Der ehemalige Wirtschaftsfaktor befindet sich zur Zeit in der Schwebe, nicht zuletzt wegen der erst kürzlich eingetretenen Stilllegung des Zugverkehrs. Das für die Unterhaltung der Strecke zuständige Unternehmen hat bis auf weiteres seine Arbeit eingestellt.

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Der in Churchill frisch gestrandete Zug – Photo by Kerstin Meyer

Frisch gestrandet stand der Zug der Linie Winnipeg-Churchill am Bahnhof. Eine kleine Katastrophe für den Ort zu dem es keine Strassenverbindung gibt! Alleine das Flugzeug stellt zur Zeit die einzige Verbindung zur Aussenwelt dar.

Im Winter erlebte man in dieser Gegend den schwersten Schneesturm der letzten 17 Jahre, was der Strecke zusetzte. „Jetzt bleiben noch ca. 4 Wochen um zu entscheiden ob es weitergeht oder nicht…dann steht bereits der nächste Winter vor der Tür“ erzählt mir Norbert Rosing.

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Aufgrund der Eisbären muss der Müll sorgfältig verstaut werden

Bevor das Eis kommt ist hier Eisbären-Saison – in der sogenannten „Welthauptstadt der Eisbären“!

Während die Bären früher lediglich eine Gefahr darstellten, sind sie heute der Wirtschaftsfaktor Nr.1 für den 900 Seelen Ort.

Churchill liegt auf der natürlichen Wanderroute der Eisbären die hier von Oktober bis November auf das Eis der Hudson Bay warten. Dann jagen sie Robben und füllen ihre Energiespeicher.

Dennoch ist den Einwohnern Churchills sehr bewusst, dass Eisbären keine Kuscheltiere sind. „Meine kopfinterene Alarmanlage ist immer auf Stand by, denn immer wieder verirrt sich auch mal einer in die Strassen Churchills. Deshalb gibt es hier auch keine verschlossenen Türen…und alle gehen sie nach außen auf! Du lernst unbewusst auf das bellen von Hunden zu achten und es zu interpretieren“ erzählt mir Dwight von Sea North Tours.

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Eisbär und Küstenseeschwalbe

Die Einwohner Churchills leben am Puls der Natur. Alex Devries macht uns auf die hier brütende Küstenseeschwalbe aufmerksam. Die auf den ersten Blick unscheinbare Vogelart, die hier emsig per Sturzflug Lodden fischt, unternimmt alljährlich die längste Zugstrecke einer Vogelart – und somit die längste bekannte Wanderung im Tierreich. Von der Nord bis in die Südpolar-Region! Ein besendertes Tier legte in 10 Montaen eine Flugstrecke von 96.000 Kilometern zurück!

Eindrucksvoll war es, die zwei Protagonisten der Arktis in einer Jahreszeit zu erleben. Ich hüte mich ja stets davor Tiere zu vermenschlichen – aber es fällt schwer die hochsozialen Belugas nicht als ausserordentlich symphatisch, verspielt und niedlich zu bezeichnen! Am letzten morgen schenken uns die weissen Engel noch einmal unvergessliche Momente in der Hudson Bay. Als wollten sie noch einmal „good bye“ sagen! In der schillernden Morgensonne knabbert ein Beluga nochmal ganz Vorsichtig an meiner Flosse – und mehrere Gruppen heissen uns noch einmal willkommen. Sie schauen und fiepsen uns an. In solchen Momenten bleibt die Zeit stehen und man befindet sich im Hier und Jetzt – in einer Welt wie aus einem Kindertraum(zumindest meiner Kinderträume). Doch es ist Realität – pur und unschuldig! Und irgendwie möchte man sich gar nicht verabschieden! An dieser Stelle nochmals vielen Dank an Jocelyn die für uns eine extra Frühschicht einlegete!

Und der Eisbär? Er verkörpert das dahinschmelzende Eis und den Klimawandel wie kein anderes Lebewesen auf unserem Planeten. Er braucht das Eis um jagen und überleben zu können . Unser extrem überzogender Energie- und Resourcen-Konsum lässt seinen Lebensraum dahinschmelzen! Wir treffen hier auf den ersten Eisbären unseres Lebens in freier Wildbahn! Kerstin ist bei diesem Erlebnis sehr bewegt: „Was tun wir Menschen diesem majestätischen Tier nur an!?“

Am liebsten würde ich mich bei ihm für meine Flugreise entschuldigen, denn auch das trägt zu seinem Dilemma bei! Aber auch jede brennende Lampe, jedes mit Energie produzierte Produkt und jede Handlung die Energie verschlingt! Dabei ist es völlig unerheblich, wo auf der Welt diese Handlung passiert!

Auch wir Menschen werden diese Suppe auszulöffeln haben – und der Suppentopf ist schon reichlich gefüllt! Den Klimawandel mit seinen vielfältigen Wechselwirkungen können wir nicht mehr vermeiden – sondern bestenfalls noch einschränken! Den Eisbär trifft an dieser Lage keine Schuld – uns schon!

So verlassen wir Churchill und seinen im Wandel befindlichen Lebensraum – tief beeindruckt, bewegt und nachdenklich.

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Ein Beluga knabbert zum Abschied vorsichtig an meiner Flosse

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